Auch in diesem Herbst fand sich auf der Hegge ein bunter Kreis von 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zusammen, die das Interesse an einer historisch-kritischen Erschließung der biblischen Schriften einte, und deren Interesse nicht enttäuscht wurde.
Es war mittlerweile die 14. Bibelschule, die auf der Hegge durchgeführt wurde. Thema waren in diesem Jahr die Wunder Jesu. Referent war – zum vierten Mal in Folge – Prof. Dr. Reinhold Zwick, em. Professor für Biblische Theologie und ihre Didaktik an der Universität Münster. Wie auch in den Jahren verlebte die Gruppe eine wunderschöne Woche mit intensiver Bibelarbeit, die zugleich existentiell aufrüttelt und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unmittelbar anspricht, eine Woche in guter Gemeinschaft – ob bei den Diskussionen im Vortragsraum, bei den Mahlzeiten, beim gemeinsamen Gebet und Gesang in der Kapelle – oder last but not least – abends in der Kellerbar.
Prof. Zwick ist es abermals gelungen, den Bibelschüler*innen die Schrift in nachvollziehbaren Schritten überzeugend aufzuschließen. Und bei aller ernsthaften Arbeit kommen bei ihm Frohsinn und Humor niemals zu kurz.
Am ersten Abend unternahmen wir einen Streifzug durch heutige Einstellungen zum Thema „Wunder“: Verwendungen der Wunderthematik in der Alltagssprache, sowie Wunderspott, z.B. in Karikaturen auf der einen Seite, Wundersehnsucht (z.B. Lourdes) und Wunderglaube auf der anderen Seite.
Es wurde deutlich, dass die Wunder Jesu von heutigen Zeitgenossen meist als Zumutung erfahren werden. Daher stellt sich die Frage: Warum kann man sich von den Wundern und der Wunderfrage nicht einfach dispensieren? Dagegen steht einerseits der schlichte Tatbestand, dass kein Evangelium ohne das Wunder auskommt. Andererseits ist festzustellen, dass gerade die Wunder dem Glauben eine ‚leibhafte ‘ Dimension verleihen, mit ihrem Fokus auf konkrete irdische Nöte, wie z.B. bei den Heilungswundern.
Ziel der Bibelschule war es, die Wunder als theologische Schlüsseltexte zu entdecken. Dazu ist bei jeder Wundergeschichte neu zu fragen: Um welche Wirklichkeit und Wahrheit geht es gerade?
In einer exegetischen Einführung stellte Prof. Zwick zunächst einige Stationen der Auslegungs- und Forschungsgeschichte vor: V.a. (1) die supranaturalistische Deutung, die das Wunder als Eingriff Gottes in das Naturgeschehen versteht. (2) Die rationalistische Deutung, die nach natürlichen Erklärungen für die Wunder sucht. (3) Die mythische Deutung, die das Wunder als ungeschichtlichen Mythos versteht. (4) Die kerygmatische Deutung, die nicht am historischen Gehalt der Wunder interessiert ist, sondern an der Theologie, die die Evangelisten mit den Wundern ausdrücken.
Sodann wurden vier elementare Strukturelemente des Wunders herausgearbeitet: Nämlich (1.) Einleitung (mit Situationsschilderung), (2.) Exposition (Vorbereitung des Wunders), (3.) Zentrum (Lösung des Problems / Wundertat) und (4.) Schluss (Reaktion auf das Wunder).
Diese Strukturelemente entdeckten wir in den nächsten Tagen bei der Lektüre der Wundererzählungen immer wieder.
In den folgenden Einheiten wurden einzelne Wundererzählungen durchgearbeitet, von den Wundern zu Beginn des Markusevangeliums, wie der Dämonenaustreibung in der Synagoge von Kafarnaum (ein Wunder im öffentlichen Raum), der Heilung der Schwiegermutter des Petrus (ein Wunder im privaten Raum) über die Heilung eines Gelähmten (Konflikt um die Vollmacht Jesu) bis hin zum Bartimäus Wunder, der letzten Wundererzählung im Markus-Evangelium. Sodann wurde der Seewandel Jesu, das am häufigsten karikierte Wunder Jesu, sehr einleuchtend als Epiphaniewunder erarbeitet, die Brotvermehrung als Bild für den Überfluss im Reich Gottes. Die Botschaft der Auferweckung des Jünglings von Na ï n wird auf dem Hintergrund der Totenerweckungen durch Elija und Elischa deutlich: Lukas zeigt hier, dass Jesus mehr ist als ein Prophet, Jesus überbietet die Propheten.
Ein Filmnachmittag mit dem Spielfilm „Lourdes“ (Regie: Jessica Hausner), der viel Stoff zu kontroversen Diskussion bietet, und die Frage nach Wunderheilungen an diesem Wallfahrtsort offen lässt, ergänzte das Programm und die Auseinandersetzung mit der Wunderthematik.
An einem anderen Nachmittag verließen wir das Hegge-Areal und besuchten das Jacob-Pins-Forum in Höxter, wo nicht nur beeindruckende Bilder dieses deutsch-israelisch jüdischen Künstlers zu betrachten waren, sondern wir in einer umfassenden, kenntnisreichen und begeisternden Führung durch Dr. Wolfgang Unger auch über die Geschichte des Adelshofes, in dem das Andenken an Jacob-Pins und die Präsentation seiner Werke ihren stimmigen Ort gefunden haben, sowie über die Biographie von Jacob Pins und seine Verwurzelung in der Weserstadt Höxter informiert wurden.
Am letzten Abend gab es mit dem Duo Luis Andrade (Ochtrup) und Constant Notten (Maastricht) einen besonderen Musikgenuss, ein Konzert für Cello und Klavier. Ihr Programm „Ewigkeit und Nachleben“ bot ein ungewöhnlich intensives, energiegeladenes und zugleich kontemplatives Hörerlebnis mit Werken von Arvo Pärt, Olivier Messiaen, Sergei Rachmaninov u.a.
Auch in diesem Jahr war die Bibelschule eingebettet in den Tagesrhythmus der Hegge-Gemeinschaft mit regelmäßigen Morgen- und Abendgebeten sowie einer Eucharistiefeier mit Msgr. Ulli Auffenberg, bei der Ökumene und Communio nicht nur gepredigt, sondern leibhaftig erfahrbar wurden.
Fazit: Ein Wunder ist das, was alle Erwartungen sprengt – und zwar immer in einer positiven Wirkweise.
Montag, 16. September 2024 | |
Begrüßung und Einführung durch Dorothee Mann | |
Prof. Dr. Reinhold Zwick, MünsterEinführung in exegetischer Perspektive |
Dienstag, 17. September 2024 | |
Prof. Dr. Reinhold Zwick, MünsterDie programmatischen Wunder zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu: Befreiungs- und Heilungswunder (Mk 1,21-34) Die Heilung des Gelähmten (Mk 2,1-12) Exkursion nach Höxter: Besichtigung des FORUM JACOB PINS im Adelshof |
Mittwoch, 18. September 2024 | |
Prof. Dr. Reinhold ZwickDie Stillung des Seesturms (Mk 4,35-41 parr.) Der Seewandel Jesu (Mk 6,45-52 parr.) Spielfilm „LOURDES“ (Regie: Jessica Hausner) Hinführung und Filmvorführung Filmgespräch mit Prof. Zwick |
Doonerstag, 19. September 2024 | |
Prof. Dr. Reinhold ZwickJesus und die jüdischen Wundertäter Die Brotvermehrungen (Mk 6,30-44 und Mk 8,1-10 / parr.) Rundgespräch zu offenen Fragen mit KONZERT FÜR CELLO UND KLAVIER |
FREITAG, 20. September 2024 | |
Heilige Messe | |
Schlussgespräch und Seminarreflexion | |
Abreise |
TAGESABLAUF:
Die Bibelschule ist eingebunden in den wohltuenden Rhythmus des „ora et labora“ der HEGGE-Gemeinschaft.
Seminarleitung: Lic. theol. Dorothee Mann, Die HEGGE
EINE BIBELSCHULE – FÜR WEN?
- Bibelinteressierte jeder Altersstufe ab 16 Jahre
- zur Vertiefung für Christinnen und Christen
- zur Einführung für Gläubige anderer Religionen