Veranstaltung war am: 13.10.2023 15:00 - 15.10.2023 15:00


Autoritäre Dynamiken in Deutschland

Zur Tagung waren insgesamt 6 Referent*innen für 7 Einheiten geladen.

Die Einführungseinheit übernahm Prof. Wilhelm Heitmeyer. In seinem Vortrag „Krisen und Kontrollverluste – Gelegenheitsstrukturen für Treiber autoritärer gesellschaftlicher Entwicklungspfade“ zeigte er auf, dass die aktuellen autoritären Strömungen, wie u.a. an dem Erfolg der AfD zu beobachten, nicht als kurzfristige Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen zu verstehen sind. Anhand eines Analyseschemas, angelehnt an sein Buch „Autoritäre Versuchungen“ (2018), zeigt Heitmeyer auf, dass die Auslöser autoritärer Dynamiken weiter zurück liegen. Ihren Ursprung nehmen sie mit dem Beginn des wirtschaftlichen Neoliberalismus und sind durch die verschiedenen gesellschaftlichen und globalen Krisen weiterbefördert worden (9/11, Banken- und Finanzkrise, Corona, Klimakrise, Kriege etc.). Aus diesen hervorgehend nimmt ein immer größer werdender Teil, so Heitmeyer, individuelle Kontrollverluste war, die zunehmend autoritären Versuchungen weichen. In der weiteren Diskussion wurde intensiv darüber diskutiert, was den derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen entgegengesetzt werden kann. Heitmeyer rekurrierte in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Bedeutung der sozialen Integration (durch Mitgliedschaft in Vereinen, Verbänden etc.).

Am Abend referierte Cemal Öztürk, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, über erste Ergebnisse aus dem Projekt „Radikaler Islam – Radikaler Antiislam“. Aufgrund einer Erkrankung schaltete er sich online dazu. Im Rahmen des Vortrags wurde herausgearbeitet, wie sich ablehnende Gruppen in einer Gesellschaft zum gegenseitigen Radikalisierungsprozess beitragen. Auch die Doppelfunktion, die Religion für muslimische Jugendliche einnimmt (als Merkmal von Ausgrenzung in der Mehrheitsgesellschaft, als identitätsstiftendes Merkmal in der Eigengruppe), wurde herausgestellt. Es wurde intensiv diskutiert, an welchen Stellen im Radikalisierungsprozess die Spirale unterbrochen werden kann. In diesem Zusammenhang spielte die Reduktion von Vorurteilen und Diskriminierung gegenüber Menschen muslimischen Glaubens in der deutschen Gesellschaft ebenso eine Rolle, wie die Schaffung alternativer Anerkennungsquellen und eine „echte“ Integrationsmöglichkeit von Menschen mit Zuwanderungsbiografie zu schaffen.

Die Einheit am nächsten Morgen wurde von Prof. Pickel und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Emma Aouragh von der Universität Leipzig gestaltet. Beide waren online zugeschaltet. Thematisch ging es um die Identifikation individueller und institutionell angelegter rassistischer und autoritärer Strukturen in deutschen Behörden (am Beispiel des Jobcenters). Beide Referenten rekurrierten auf aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse aus dem mit Bundesmitteln finanzierten Projekt „Rassismus in Institutionen (InRa)“.

Es wurde zum einen deutlich herausgearbeitet, dass individueller und institutionell verankerter Rassismus nicht immer trennscharf von einander unterschieden werden können. In diesem Zusammenhang wurde von einzelnen TN auf die Bedeutung hingewiesen, frühzeitig gegen individuelle Ressentiments zu arbeiten. Es wurde intensiv diskutiert, ob und inwiefern Schule das leisten kann. Im Weiteren stellten Prof. Pickel und seine Kollegin mögliche präventive Ansätze im Rahmen von Behörden vor, die mit den TN diskutiert wurden. Die Umsetzbarkeit, wie die Rotation von Mitarbeitern, regelmäßige Supervision etc. stand dabei im Mittelpunkt der Diskussion. Auch die Frage, wie motivierte Mitarbeiter*innen besonders gestärkt werden können, wurde ausgiebig erörtert.

Am Samstagnachmittag berichtete Prof. Johanna Rahner über autoritäre Strukturen in religiösen Institutionen, die in christlicher Tradition stehen. Dazu rekurrierte sie zunächst auf das „alte Europa“, kam dann auf die Entwicklungen der „Kirche des Südens“ (insb. neopentekostale Gemeinschaften) sowie denen in der USA zu sprechen. Den Abschluss ihres Vortrags bildete der Blick auf die deutschen Verhältnisse, wobei sie ihre ursprüngliche Idee, Deutschland als Vorbild der Resilienz zu präsentieren, nach den gehörten Inhalten des Vortrags von Wilhelm Heitmeyer mit einem Fragezeichen versehen hat. Im Rahmen der sich anschließenden Diskussion wurde von den TN unter anderen danach gefragt, wo die katholische Kirche im europäischen Raum besonders anfällig ist für die politische Rechte. Auch wurde von den TN nachgefragt, wie und warum Deutschland durch das kooperative Verständnis des Verhältnisses von Religion und Staat weniger anfällig ist, dominant antimodernistisch zu werden.

Nach einer kurzen Pause hat David Aderholz, assoziiertes Mitglied am Else-Brunswick-Institut des Universität Leipzig die aktuellen Ergebnisse aus einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage der sog. Autoritarismus-Studie vorgestellt. Insbesondere die Angleichung abwertender Einstellungen gegenüber sog. schwachen Gruppen zwischen Ost und West sowie dem Ergebnis, dass nicht nur Menschen in Kreisen mit einer hohen Arbeitslosenquote, einem geringen Frauen- und Ausländeranteil häufiger abwertende Einstellungen berichten, sondern auch dann, wenn sie aus Kreisen mit einem hohen Haushaltseinkommen (bei gleichzeitig hoher kollektiv wahrgenommener Deprivation) sind, hat die TN sehr bewegt und entsprechend ins Diskutieren gebracht. Ebenfalls kritisch nachgefragt wurde, warum Ost/West in der Wissenschaft immer noch als Analysekategorie genutzt wird.

Nach dem Abendessen gab es eine weitere Einheit mit David Aderholz, in der er im Rahmen seines Dissertationsprojektes von einer Untersuchung von politisch rechten Betriebsräten in einem großen Automobilunternehmen berichtete. Insbesondere interessierten sich die TN für die Fragen, wie sich der Einfluss der rechten Betriebsräte im Arbeitsalltag zeigt, wie die Belegschaft darauf reagiert und welche Möglichkeiten es gibt, die politisch rechten Betriebsräte mit ihren leeren Versprechungen zu überführen.

Der Sonntag begann mit dem Gottesdienst. Hr. Auffenberg hat im Rahmen der Messe das Thema der Tagung explizit aufgenommen und am Beispiel von Bonhoeffer an die immer beständige Möglichkeit der individuellen Gegenwehr mit Blick auf die erstarkenden autoritären Dynamiken in Deutschland, aber auch weltweit, hingewiesen. Den Abschluss der Tagung bildete eine Trainingseinheit aus dem „Veto-Prinzip“. Anna Maria Weber, Trainerin und Geschäftsführerin von ACT e.V. stellte zunächst die Geschichte von Veto sowie die damit verbundenen Ziele kurz vor. Es geht insbesondere um die Förderung der ICH-Stärke und um Sensibilisierung für ungleiche Machtverhältnisse (Es geht darum vom „Land des inneren Gehorsams“ in das „Land der inneren Freiheit“ zu gelangen). Auf spielerische Art und Weise wurde den TN das Veto-Prinzip nähergebracht. Entsprechend hatten die TN die Möglichkeit, sich und ihre Grenzen auszutesten. Diese Einheit verursachte anfangs einige Irritationen, wurde letztlich von den TN aber als sehr gewinnbringend bewertet. Unabhängig davon war diese Einheit allein deshalb wichtig, weil sie Mut machte, dass es trotz der derzeitigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Deutschland genügend Spielraum gibt, sich für die Demokratie stark zu machen!

Siehe auch den Beitrag von Anna Maria Weber: https://mailchi.mp/5bd9a1f088c3/act-newsletter-einladung-zu-den-auffhrungen-6216871?e=c1622893d5