VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN – Online-Veranstaltung
Tagungsrückblick
„Verschwörungstheorien – Eine Bedrohung unserer gesellschaftlichen Ordnung?“
Von Freitag, den 19.03.2021 bis Sonntag, den 21.03.2021 fand auf der Hegge die Tagung „Verschwörungstheorien – Eine Bedrohung für unsere gesellschaftliche Ordnung?“ mit rund 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern als Onlineseminar statt.
Den Einstieg in das Thema machten die Psychologin Nele Hellweg und der Sozialwissenschaftler Marius Dilling, beide an der Universität Leipzig tätig. Sie berichteten in ihren Vorträgen von zentralen Ergebnissen der Leipziger Autoritarismusstudie, in dessen Rahmen auch die sog. Verschwörungsmentalität untersucht wurde.
Marius Dilling stellte anhand der Daten einer deutschlandweiten Repräsentativbefragung heraus, dass die Verschwörungsmentalität seit dem letzten Jahr bundesweit wieder zunimmt. Insbesondere Menschen, die sich nicht ausreichend anerkannt und politisch gehört fühlen sowie glauben, wirtschaftlich schlecht gestellt zu sein, weisen eine größere Tendenz zur Ausbildung einer Verschwörungsmentalität auf. Auch finden sich bei Personen mit Tendenz zu einer Verschwörungsmentalität ausgeprägtere antisemitische Einstellungen. Mit Blick auf mögliche Funktionen der Verschwörungsmentalität stellt der Referent u.a. heraus, dass diese eigene Deprivations- und Ohnmachtserfahrungen zu kompensieren scheinen, aber auch narzisstische Bedürfnisse befriedigen. Der Zusammenhang zwischen der eigenen Verschwörungsmentalität und Vorurteilen gegenüber anderen Gruppen (hier: insbesondere antisemitische Einstellungen) liefert darüber hinaus Hinweise, dass die Zuschreibung negativer Ereignisse (z.B. Corona) an bestimmte Gruppen aus Sicht der Freund-Feind-Logik identitätsstiftend wirkt, z.B. als Widerstandskämpfer oder Widerstandskämpferin.
Nele Hellweg wies im Rahmen ihres Vortrags auf die Zusammenhänge zwischen einer ausgeprägten Verschwörungsmentalität und Autoritarismus hin, wobei hier die Facetten „Autoritäre Aggression“, „Konventionalismus“ und „Aberglaube“ von Bedeutung für den Zusammenhang scheinen.
Am Samstagmorgen berichtete zunächst Giulia Silberberger, Gründerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Berliner Organisation ‚Der goldene Aluhut gUG‘, in einem fesselnden und erkenntnisreichen Vortrag über die Gefahren von Verschwörungsideologien und warum Menschen daran glauben. Sie lieferte einen tiefen Einblick in die Vielzahl von Verschwörungsaktivitäten, insbesondere im Netz. Auch wurde sie nicht müde, darauf aufmerksam zu machen, den Blick für Kinder und Jugendliche zu schärfen, die in einem Umfeld aufwachsen, das von Verschwörungsideologien geprägt ist. In diesem Zusammenhang führte sie den Begriff ideologischer Missbrauch ein.
Albrecht M. Raible schwenkte in seinem Vortag am Nachmittag den Blick auf die USA und berichtete von der Entwicklung von Verschwörungstheorien in den USA seit ihrer Gründung bis heute. Bezogen auf die gegenwärtigen Verhältnisse in den USA stellte der Referent u.a. heraus, dass durch die Verschwörungsideologien zu einer zunehmenden Fragmentierung der Öffentlichkeit komme, die sich insbesondere durch die Bildung von Gegenöffentlichkeiten, der Bildung von Meinungsblasen sowie einer zunehmenden räumlichen und sozialen Trennung der verschiedenen Meinungslagern in den USA speise. Bei einem Vergleich der Situation der USA mit der in Europa, stellte der Autor heraus, dass die Bedrohung durch Verschwörungsideologien in Europa noch vorrangig digital wahrnehmbar sei und sich noch nicht räumlich und sozial manifestiert habe.
Am Abend bot Rüdiger Reinhardt, hauptamtlicher Mitarbeiter der gemeinnützigen Berliner Organisation ‚Der goldene Aluhut gUG‘, eine Einführung in die Grundlagen des eigenen Faktenchecken. Er riet dazu, die Sichtung jeder Quelle zunächst mit einer Selbstbefragung zu beginnen: „Wer steht hinter dem Medium?“, „Wer berichtet noch?“, „Wurde die Geschichte bereits widerlegt?“, „Warum will ich das denn (trotzdem) glauben?“, „Bedient die Geschichte gängige Mythen?“, „Welchen Mehrwert habe ich davon, die Geschichte zu glauben?“ Sodann präsentierte der Referent einen ganzen Blumenstrauß voller Werkzeuge zum Faktenchecken, u.a. die Nutzung von ‚Google Scholar‘, einer Suchmaschine, die sämtliche öffentlich zugängliche Texte von der gesuchten Person liefert.
Am Sonntagmorgen referierte Sara Han, kath. Theologin, über die Haltbarkeit kirchlicher Ausgrenzungsneurosen in christlichen und nicht christlichen Verschwörungstheorien. Im Zentrum ihrer detailreichen und akribischen Ausführungen stand die Darstellung des Ursprungs und der Entwicklung des Antijudaismus in der 2000jährigen Kirchengeschichte des Christentums. An mehreren Stellen verweist sie darauf, wie diese im Christentum entstandenen Vorstellungen über Jüdinnen und Juden, in den Antisemitismus der Gegenwart hineinwirken. Damit machte die Referentin zugleich die Verantwortung der christlichen Kirchen mit Blick auf das aktive Entgegenwirken gegen Antisemitismus in jeglicher Form deutlich, auch bezogen auf häufig mit antisemitischen Einstellungen zusammenhängende Verschwörungsideologien.
Zusammenfassend lässt sich schließen, dass mit den Referentinnen und den Referenten das Thema „Verschwörungstheorien – Eine Bedrohung für unsere gesellschaftliche Ordnung?“ auf eine vielfältige, kenntnisreiche und dialogfreudige Art und Weise durchleuchtet wurde.